Freitag, 25. Januar 2013

“Zieht euch heute warm an” von Andrea Beer

“Zieht euch heute warm an”, mahnt uns Jacek Zieliniewicz mehrmals beim Frühstück,  “in Birkenau kann es kalt werden”.  In der Tat bläst uns ein scharfer Wind entgegen, als wir am Morgen vor dem Eingang des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers  aus dem Bus steigen. In der Nacht hat es geschneit, und die wohl bekannteste Gedenkstätte der Welt ist  über und über weiß bedeckt. Die Zeit von  August 1943 bis August 1944 musste Jacek Zieliniewicz auf diesem  riesigen Areal verbringen. Ein traumatisches Jahr, das ihn nie mehr loslassen wird, ja geradezu zur Mission des heute 87-jährigen geworden ist. 
Das Vernichtungslager überlebte der schmale,  immer freundliche  Pole damals unter anderem, weil er einem Maurerkommando zugeteilt wurde. Er erledigte Reparaturarbeiten und kennt das ehemalige Lager wie seine Westentasche. Leider. Denn als wir durch das rostrote Tor, dem Eingang zu dem ehemaligen Vernichtungslager, gehen fangen wir an zu begreifen, was Jacek Zieliniewicz und Millionen anderer Menschen hier durchmachen mussten. Jacek Zieliniewicz rattert nämlich keine Fakten herunter, sondern erzählt uns von vielen Erlebnissen und vor allem von den Menschen, die mit ihm eingesperrt waren. Von der begabten, ungarischen Dirigentin, die im Lagerorchester mitmachen musste und sich dann das Leben nahm. Von seinem Mithäftling, der mit ihm lebenswichtige Kartoffeln auftrieb und sogar zum Freund  wurde. Aber auch von den sadistischen Grausamkeiten der deutschen SS-Männer.  Mit einer Engelsgeduld führt uns  Jacek Zieliniewicz durch die Kälte über das weitläufige Gelände. Zu den Ruinen der gesprengten Krematorien, vorbei an den Trümmern einer der vier ehemaligen Gaskammern, bis hin zur sogenannten “Sauna”, wo die gequälten Menschen durchgehetzt wurden, um ihre Kleidung zu entlausen. Jacek Zieliniewicz bleibt immer wieder stehen, gibt uns Zeit und beantwortet unsere Fragen. Am Ende biegt er noch ab in eine Baracke, “seine” Baracke. Er schildert uns dort wie ein Mithäftling zu Tode geprügelt wurde. Dieser hatte ein Stück Brot gestohlen. Wir müssen oft schlucken, doch Jacek Zieliniewicz scheint immer ruhig. Wir sind Freunde betont er immer wieder, die Zukunft gehört euch, eine Zukunft in Frieden! Rund drei Stunden folgen wir dem energischen Schritt von Jacek Zieliniewicz, dann stehen wir wieder vor dem rostroten Tor, des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Auf der Rückfahrt sinken wir erschöpft in unsere Sitze. Jacek Zieliniewicz müssen wir an der Gedenkstätte des Stammlagers Auschwitz I absetzen. Er hat noch eine Verabredung dort. Wir sollen uns warm anziehen hat er uns gemahnt , er selbst trägt übrigens nicht einmal einen Schal.

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